Tell Halaf Grabungsprojekt
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Texte

Prof. Dr. Mirko Novák

Eine Vielzahl von schriftlichen Quellen ganz unterschiedlicher Herkunft bietet uns Einblicke in die eisenzeitliche Besiedlung des Tell Halaf:

Assyrische Königsinschriften
Vor der ersten Erwähnung in den assyrischen Eponymenchroniken nährt sich unser spärliches Wissen zur eisenzeitlichen Chronologie des Tell Halaf vor allem aus den datierbaren Erwähnungen in den assyrischen Königsinschriften. Diese verzeichnen für das Jahr 894 v. Chr. den Tribut des Abi-salamu und in den Jahren 879 und 870 v. Chr. den Tribut eines oder zweier anonymer aramäischer Herrscher von Guzana und Sikani. Diese werden als die Nachfahren des Bachiani (mar bahiani), eines historischen oder mythischen Dynastiegründers, bezeichnet.

Kalksteinaltar vom Tell Halaf
In den schriftlichen Hinterlassenschaften vom Tell Halaf selbst findet diese Dynastie in einer kurzen altaramäischen Beischrift auf einem kleinen Kalksteinaltar ihre Erwähnung. Der Text verewigt den aramäischen Herrscher Zdnt aus dem (Hause) Bachiani (zdnt.b'l.zy. bhy[n]).

Inschriften des Kapara vom Tell Halaf
Der Bezug auf Bachiani fehlt dagegen vollkommen in den keilschriftlichen In- und Beischriften des Kapara, der sich selbst als den Sohn des Hadianu und als König eines ansonsten unbekannten Landes Palê bezeichnet. Die kurzen Beischriften ("Palast des Kapara, Sohn des Ha-dianu") auf den Orthostatenplatten des Bit Hilani sind sekundär teils neben, teils wohl über der älteren Beischrift "Tempel des Wettergottes" angebracht (Abb. 1). Eine originäre Aufstellung der Inschriftenträger im Tempel eines Wettergottes ist also nicht auszuschließen. Die etwas längeren Inschriften auf Statuen und Türleibungsfiguren kommemorieren den Namen des Herrschers, seines Vaters und nicht weiter explizierte Taten: Er, Kapara, der König des Landes Palê, habe geleistet, was Vater und Großvater bisher nicht geleistet hätten. Danach endet die Inschrift mit einer Fluchformel, die denjenigen treffen sollte, der den Namen des Kapara von der Inschrift tilgt (Abb. 2).
Ungelöst ist die Frage der Datierung der Inschriften: Orthographie, Morphologie und Zeichenform liefern Argumente für eine Entstehung der Inschriften im 9. Jh. v. Chr. Dagegen sprechen antiquarische Argumente dafür, die Inschriftenträger selbst früher zu datieren. Da sich Kapara in seinen Inschriften nicht auf einen Dynastiegründer Bachiani bezieht, könnte Kapara entweder vor der ersten Erwähnung eines Herrschers aus dem Hause Bachiani zu datieren sein. Der Terminus ante quem wäre dann das Jahr 895 v. Chr. (s.o.). Oder aber Kapara, der König von Palê, war ein Usurpator bzw. Eroberer, der der Dynastie von Bachiani ein Ende bereitete. Der Terminus ante quem non wäre dann das Jahr 870 v. Chr. (s.o.).

Votivstatue aus Tell Fecheriye
Einen weiteren Herrscher von Guzana nennt uns die aramäisch-assyrische Bilingue einer Votivstatue aus Tell Fecheriye, dem eisenzeitlichen Sikani nicht weit vom Tell Halaf. Der Donator Adda-it'i bezeichnet sich und seinen Vater Schamasch-nuri im aramäischen Teil der Bilingue als Könige (mlk), im assyrischen Teil aber als Statthalter (sakin mati) von Sikani, Guzana und Zarani. Auch dieser Herrscher bezieht sich nicht mehr auf einen Dynastiegründer Bachiani und auch hier ist die Regierungszeit des Herrschers wieder nicht gesichert. Doch scheint eine Datierung nach 870 v. Chr. und vor der Nennung eines assyrischen Feldzugs nach Guzana in der Eponymenchronik des Jahres 808 v. Chr. nicht unwahrscheinlich. In unmittelbarer oder mittelbarer Folge dieses Feldzugs wurde Guzana wohl endgültig als Provinz in das neuassyrische Reich inkorporiert. Der erste eindeutige schriftliche Beleg dafür ist die Nennung des assyrischen Statthalters von Guzana Mannu-ki-mat-Assur in den Eponymenlisten des Jahres 793 v. Chr.

Archiv des Mannu-ki-mat-Assur vom Tell Halaf
Über die Aufgaben der Administration einer assyrischen Provinz des frühen 8. Jh. v. Chr. informiert uns das so genannte Archiv des Mannu-ki-mat-Assur. Die Texte wurden südlich des assyrischen Statthalterpalastes auf der Zitadelle gefunden und datieren ca. in das erste Viertel des 8. Jh. v. Chr. Es handelt sich um entsorgte Akten aus dem eigentlichen Statthalterarchiv: Briefe der administrativen Korrespondenz und meist recht kurze Listen und Memoranda der Rechnungsführung. Die Texte behandeln die Gestellung von Soldaten, Pferden und Equipment für die assyrische Armee (Abb. 3), die Entsendung von Mannen für zivile Dienstleistungen außerhalb der Provinz, die Einbindung der semi-nomadischen Bevölkerung, die Unterbringung von Boten, die Überführung der Tribute von Vasallenstaaten in die Hauptstadt des assyrischen Reiches, die Erhebung der zur Berechnung der Steuerschuld nötigen Daten, die Rechtssprechung und die Durchführung des Staatskultes.
Die zahlreichen Erwähnungen des Turtanu, eines hohen assyrischen Offiziellen, in etwa mit dem europäischen Feldmarschall zu vergleichen, spiegeln die im frühen 8. Jh. v. Chr. hierarchisch exponierte Position dieses Offiziellen wieder. Eventuell handelt es sich dabei um den bekannten Turta-nu Schamschi-ilu, eine Art Richelieu des 8. Jh. v. Chr.

Sitzbild des Kammaki vom Tell Halaf
Auf dem Torso einer Sitzstatue aus Basalt ist eine dreizeilige Keilinschrift erhalten, die einen gewissen Kammaki, Sohn des Ilu-le’i, des Schreibers nennt und eine Zerstörung der Statue durch spätere Herscher als Sünde bezeichnet. Nach den Zeichenformen dürfte es sich um eine Inschrift aus der Mitte des 8. Jh. v. Chr. handeln. Denkbar wäre, dass die Skulptur, wie die älteren steinernen Sitzbilder aus dem Kultraum und dem Grabkapellen, der Totenverehrung diente.

Assyrische Staatskorrespondenz
Zahlreiche Erwähnungen in der assyrischen Staatskorrespondenz belegen den Provinzstatus Guzanas bis zum Untergang des assyrischen Reiches.

Archiv des Il-manani vom Tell Halaf
Weitere Texte vom Tell Halaf selbst datieren in die zweite Hälfte des 7. Jh. v. Chr., die jüngeren darunter in die Zeit des assyrischen Rumpfstaates, der nach dem Untergang der assyrischen Metropolen für kurze Zeit von Harran aus existierte.
Hervorzuheben ist dabei das Archiv des Il-manani: Die keilschriftlichen Silber- und Gersteobligationen sowie eine Sklavenkaufurkunde datieren in die Jahre 615-611 v. Chr. Bis auf eine Tafelhülle wurden Keilschrifttafeln in einem Tongefäß zusammen mit fünf aramäischen Tonbullen mit Beischriften zu Getreideobligationen gefunden (Abb. 4). Die dreieckigen Tonbullen dienten wohl der Sicherung des Knotens einer Schnur um die Schriftrolle mit der eigentlichen Obligationsurkunde. Sie erfüllten somit die gleiche Funktion wie die keilschriftliche Tafelhülle als Schutz der Urkundentafel. Von Interesse für die Wissenschaft ist, dass einige der Rechtsklauseln auf den Tonbullen auf ihren westsemitischen Ursprung hinweisen.

Andere Quellen
Bei weiteren neuassyrische und neubabylonische Texten handelt es sich um Streufunde und Ankäufe vom Antikenmarkt: Ein Brief, zwei Prozessurkunden und mehrere ungesiegelte Abschriften von Privatrechtsurkunden informieren uns zusammen mit dem Archiv des Il-manani über das Rechts- und Geschäftsleben im späten 7. Jh. v. Chr. Der älteste der Texte datiert in das Jahr 648 v. Chr., der jüngste eventuell in das Jahr 610 v. Chr.
Unklar ist dagegen die Datierung von zwei kultisch-religiösen Texten und vier neubabylonische Briefen. Das rein babylonische Onomastikon der Briefe könnte jedoch darauf hinweisen, dass diese in die Zeit nach dem Untergang des assyrischen Rumpfstaates im Jahre 609 v. Chr. zu datieren sind. Akzeptiert man dies, zeigen diese Texte zusammen mit einigen ca. kontemporären Texten aus Dur-Katlimmu (mod. Tell Schech Hamad am unteren Chabur), dass auch nach dem Zusammenbruch des assyrischen Reiches das Leben in Obermesopotamien seinen gewohnten Gang ging.

1Kalkstein-Orthostat vom West-Palast mit Inschrift: Palast des Kapara, Sohn des Hadianu (Foto: O. Teßmer)
2Basalt-Orthostat vom West-Palast mit Inschrift des Kapara am oberen Rand (Foto: O. Teßmer)
3Königliche Anweisungen und Geschäftsurkunden vom Tell Halaf (Foto: O. Teßmer)
4Wirtschaftsurkunde aus dem Archiv des Ila-mannanu (Foto: O. Teßmer)